Zwist am Gartenzaun
Ist es ein Zufall, dass sich in dem an sich unverdächtigen Wort „Nachbarschaft“, ein beliebtes deutsches Schimpfwort verbirgt? Manchen leidgeprüften Nachbarn bleibt nur noch die Flucht in den Zynismus. Denn Zwistigkeiten zwischen den Menschen von nebenan können die Lebensqualität in einem Maße mindern, dass die Seele ernsthaft leidet. Zumal dann, wenn die Meinungsverschiedenheiten über Jahre hinweg ungelöst schwelen.
Streitobjekt Pflanzen
Streiten kann man sich als Nachbar(in) praktischerweise über alles. Ein häufiger Grund für Nachbarschaftsstreit sind zum Beispiel Pflanzen, die vom Nachbargrundstück auf das eigene ragen. Oder umgekehrt. Genau hier liegt oft das Kernproblem: Die halsstarrige Eigensicht verwehrt manchen Streithähnen die Fähigkeit, sich in das Gegenüber hineinzuversetzen. Die Grundvoraussetzung für einen Kompromiss ist dann nicht mehr erfüllt.
Da spontane Selbstjustiz mit der Motorsäge eher nicht zu dauerhaften Konfliktlösungen führt, lohnt es sich, zunächst einen Blick ins Gesetzbuch zu werfen. Nicht nur bei Pflanzen: Jedes Bundesland hat sein eigenes Nachbarschaftsrecht, das in einzelnen Punkten leicht variieren kann!
Paragraphen-Dschungel
Überhangsrecht, Überfallsrecht, Kapprecht: In Paragraph 910 und 911 des BGB ist grundsätzlich geregelt, wie mit Pflanzen, die vom Nachbargrundstück herüberragen, zu verfahren ist. Die Rede ist hier zunächst von einer angemessenen Frist, innerhalb der Nachbar den Überhang seiner Pflanzen zurückzuschneiden hat. Verstreicht diese ungenutzt, kann man selbst Hand anlegen. Gegebenfalls auch unter besonnenem Einsatz einer Motorsäge. Das gilt auch für Wurzeln, die sich über die Zaungrenze hinweg ihren Weg gebahnt haben. Fürs Wurzelziehen ist indessen keine Fristsetzung nötig.
Früchte des Zorns
Das Nachbarschaftsrecht regelt auch den Umgang mit Früchten, die auf der anderen Seite der Grundstücksbegrenzung als Fallobst niedergehen. Faustregel: Was sich auf meinem Grundstück abspielt, kann ich in meinem Sinne regeln. Aus Fallobst des nachbarschaftlichen Birnbaums, darf ungestraft Kompott gekocht werden. Andere Länder, andere Quitten: In Österreich und der Schweiz kommt es darauf an, ob die Früchte tatsächlich durch überhängende Äste und Zweige die Seiten gewechselt haben. Sind äußere Umstände wie Sturm der Grund, kann der Besitzer die Herausgabe der Früchte einklagen.
Bei Nachbarschaftstreits geht es deshalb ans Eingemachte, weil es nicht so einfach ist, sich der Situation elegant zu entziehen. Ein Miethaus ist kein Campingplatz, ein Eigenheim kein Hotel, das man von einem auf den nächsten Tag räumen könnte. Wohnräume sind Schutzräume, Streit mit Nachbarn tasten deren Unverletzlichkeit empfindlich an. Der Anlass für Zwist unter Nachbarn mag zu Beginn nichtig sein. Wenn nicht rechtzeitig eine einvernehmliche Lösung herbeigeführt werden kann, wird aus der sprichwörtlichen Mücke irgendwann ein Elefant. Und den kriegt man nicht mehr so schnell aus dem Garten, dem Treppenhaus oder vom Balkon.
Fahnenmast vs. Hecke
Ein Beispiel: Zwei Hausbesitzer geraten aneinander, weil der eine findet, dass ihm die Hecken des Nachbarn zuviel Licht wegnehmen. Der so Beschuldigte beschwert sich seinerseits über Fahnenmasten, die sein Nachbar auf dem Grundstück in die Erde gerammt hat, um die Flagge des ortsansässigen Schützenvereins zu hissen. Eine klassische Pattsituation!
Dabei trifft das Nachbarschaftsrecht klare Aussagen darüber, welche Heckenhöhe dem Nachbarn zuzumuten ist und wann gestutzt werden muss. In den meisten Fällen ist hier im Gesetz eine Maximalhöhe von zwei Metern angegeben – wenn der Abstand zur Grundstücksgrenze 50 Zentimeter beträgt. Auch die Fahnenmasten des Schützenvereins dürfen nicht beliebig in den Himmel ragen. Der Haken an der Sache: Hält sich eine Partei daran nicht, kommt es zum monatelangen Pingpong, ohne das sich etwas ändert – außer, dass der Streit nun immer schwerer zu lösen ist.
Balla-Balla
Anderen gehen die Nerven durch, weil vom gegenüberliegenden Sportplatz hin und wieder ein Fußball im Blumenbeet landet und einige der mit Liebe gezogenen Tulpen in die Knie zwingt. Wer auf stur schaltet, hat das Recht auf seiner Seite: Er muss den Fußball erst herausgeben, wenn er darum gebeten wurde. Wer einfach in den Garten des Besitzers eindringt, macht sich nämlich strafbar wegen unbefugten Betretens eines Grundstücks – auch dann, wenn der Fußball wiederholt im Blumenbeet landet.
In diesem Fall kommt es darauf an, woher der Ball geflogen kommt. Ist es eine offizielle Sportstätte mit einem Verein als Betreiber, kann der genervte Nachbar die Errichtung einer Umzäunung einfordern. Diese ist unter bestimmten Voraussetzungen sogar einklagbar.
In Miethäusern können Streitereien unter Nachbarn noch erheblich schneller und bedrohlicher eskalieren, da hier kaum Gelegenheit besteht, einander aus dem Weg zu gehen. Lärm, Dreck, Beleidigungen bis hin zu Tätlichkeiten: Viele Mieter fühlen sich angesichts schwieriger Nachbarn nur noch hilflos. Anzeigen bei der Polizei sind der letzte Ausweg. Aber einer der dauern kann, bis tatsächlich etwas passiert und dem Störenfried das Handwerk legt. Aber auch einer, der ab einer bestimmte Eskalationsstufe unvermeidlich wird. Nämlich immer dann, wenn physische Gewalt angedroht oder ausgeführt wird. Hier ist die Grenze zum Straftatbestand überschritten.
Wer häufiger einen Anwalt braucht, ist am besten beraten, rechtzeitig eine entsprechende Rechtsschutzversicherung abzuschließen. Wer seine Rechte in einem Nachbarschaftsstreit genau kennen möchte, für den mag die Mitgliedschaft im Deutschen Mieterbund (DMB) die Alternative sein. Der DMB ist die Dachorganisation für mehr als 300 örtliche Mietervereine. Anwälte mit Schwerpunkt Mietrecht stehen Mitgliedern hier auch im Falle eines Nachbarschaftsstreits Rede und Antwort.
Was tun bei Streit mit dem Nachbarn?
Wenn es zum Streit gekommen ist, sollte er nach Möglicghkeit nicht weiter geschürrt werden. Das klingt zwar logisch, und die richtige Reihenfolge ist auch klar. Aber welche Möglichkeiten gibt es, bevor man den Anwalt einschaltet?
„Nachbarschaftsstreit-Verbandskasten“
- Das Gespräch suchen
- Einen Kompromiss finden
- Rechtssituation vollständig klären
- Rechtsberatung durch Deutschen Mieterbund
- Einschalten eines Schiedsmanns
- Anstreben einer außergerichtlichen Einigung mit Rechtsanwalt
- Anzeige erstatten
- Gerichtsverfahren
Vermittlung durch Schiedsmann
Doch nicht immer ist es ratsam, sofort alle juristischen Register zu ziehen. Der sofortige Gang zum Rechtsanwalt birgt die Gefahr, dass es erst recht zu einer Verhärtung der Fronten kommt, womit am Ende niemandem gedient ist. Keine Seite will nachgeben, beide Seiten fühlen sich ungerecht behandelt. Was ist zu tun? Gerade dann, wenn eine Unterhaltung auf Zimmerlautstärke nicht mehr möglich ist? Wenn jeder direkte Versuch einer Einigung gescheitert ist? Dann sollte eine geschulte unbeteiligte Person vermitteln.
Dafür gibt es die Möglichkeit einen Schiedsmann mit der Schlichtung zu beauftragen. Seine/ihre Aufgabe ist es, die Streithähne an einen Tisch zu bekommen und nach einem Kompromiss zu suchen. Zu den großen Herausforderungen gehört dabei nicht nur profunde Sachkenntnis des jeweiligen Falles, sondern auch, für eine faire Gesprächsatmosphäre zu sorgen. Schiedsmänner und -frauen stehen unter Schweigepflicht und sind zu Neutralität verpflichtet. Ihr Wahlspruch lautet: „Wir können schlichten, aber nicht richten.“
Den richtigen Schiedsmann finden Nachbarn über die Bundesvereinigung Deutscher Schiedsmänner und Schiedsfrauen e.V., kurz BDS. Die Schlichter arbeiten ehrenamtlich – ein Grund dafür, dass die außergerichtliche Einigung, noch dazu ohne Rechtsanwalt, auf diesem Wege den Geldbeutel der ohnehin schon gebeutelten Nachbarn entlastet. Beispiel: Schon ab 28,- Euro kann mit einem Schiedsmann ein Vergleich ausgehandelt werden. Die Kosten werden sogar noch durch die beteiligten Parteien geteilt.
Richtig versichern
Versichern kann man sich gegen Nachbarschaftsstreit naturgemäß genauso wenig wie gegen Unwetter. Gleichwohl ist es möglich, mit der richtigen Versicherung einen Streit mit Nachbarn gar nicht erst aufkommen zu lassen. Gerade Hausbesitzer mit Baumbestand auf dem Grundstück sind gut beraten, sich gegen Folgeschäden zu versichern.
Zwar hat der Nachbar das Recht in einem definierten Rahmen Wurzeln fremden Baumbestands auf seinem Grundstück zu entfernen. Was aber, wenn es schon zu Wurzelschäden gekommen ist? Diese können Rohre und Kanäle ernsthaft in Mitleidenschaft ziehen, bei Verstopfung Rückstau bis ins Badezimmer verursachen. Schnell stehen Schadenssummen im Raum, über die es sich trefflich mit Nachbarn streiten ließe! In Einzelfällen können Wurzelschäden sogar das Fundament des eigenen Hauses – oder das des Nachbarn – auf ein „neues Level“ befördern. Gleiches gilt dann für die Tonart der nachbarschaftlichen Diskussionen.
Die Rechtslage ist eindeutig: Es haftet die Partei auf deren Grundstück der wuchernde Baum steht. Daher ist es für jeden Hausbesitzer ratsam, eine Privathaftpflichtversicherung abzuschließen. Wer ein Ein- oder Mehrfamilienhaus dagegen vermietet, kommt damit nicht aus. Hier ist eine Haus- und Grundbesitzerhaftpflicht die Versicherung, die ruhig schlafen lässt und Streit zwischen Nachbarn wenigstens in finanzieller Hinsicht zu vermeiden hilft.