Die Haftungsfrage bei höherer Gewalt
Kaufvertrag, Mietvertrag, etc. – Verträge begleiten unser Leben und wir erwarten zu Recht, dass unsere Vertragspartner ihren Teil der Vereinbarung erfüllen. Kommt etwas dazwischen, ergeben sich rechtliche Folgen. In Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) wird meist der Umfang der Haftung festgelegt.
Im Alltag passiert manches Missgeschick und plötzlich haben wir jemand anderem einen Schaden zugefügt. Wer andere vorsätzlich oder fahrlässig widerrechtlich verletzt, ist zum Schadenersatz verpflichtet. Das schreibt das Gesetz vor. Das kann das Leben, den Körper, die Gesundheit, die Freiheit, das Eigentum oder ein sonstiges Recht betreffen.
In beiden Fällen – vertraglicher Haftung oder deliktischer Haftung – kann ein Ereignis höherer Gewalt eine Rolle spielen und sich auf Schadenersatzpflichten auswirken.
Unterschiede gibt es jedoch bei der Beweislast: In der Regel hat der Geschädigte zu beweisen, dass den Schädiger ein Verschulden trifft. Innerhalb von Vertragsverhältnissen ist es umgekehrt: hier muss die schädigende Partei beweisen, dass sie den Schaden gerade nicht zu verschulden hat.
Was bedeutet „höhere Gewalt“?
Das deutsche Recht kennt zwar den Begriff der „höheren Gewalt“, eine Definition existiert jedoch nicht. Laut Rechtsprechung meint „höhere Gewalt“ ein unvorhersehbares und durch äußere Umstände verursachtes Ereignis, das selbst durch äußerste Sorgfalt nicht hätte verhindert werden können. Dabei kann es sich um ein Naturereignis wie zum Beispiel ein Erdbeben handeln, aber auch um Krieg oder eine Pandemie.
Welche Beispiele für höhere Gewalt gibt es?
Höhere Gewalt kann im Zusammenhang mit Naturereignissen gegeben sein. Beispiele sind Naturkatastrophen verursacht unter anderem durch:
- Erdbeben
- Lawinen
- Extremwetterlagen wie Stürme, Starkregen oder Gewitter
- Hochwasser
- Vulkanausbrüche
Es gibt darüber hinaus Fälle von höherer Gewalt, die zwar durch Menschen verursacht werden, für Betroffene jedoch ohne Einflussmöglichkeiten geschehen. Dazu zählen beispielweise:
- Kriege und Unruhen
- Revolutionen und Aufstände
- Streiks
- Sabotageakte
- Terrorismus
Auf einer Verkettung unglücklicher Umstände beruhen Fälle von höherer Gewalt wie:
- Epidemien und Pandemien
- Atomunfälle
Von höherer Gewalt können Einzelpersonen betroffen sein bis hin zu ganzen Bevölkerungen. Mögliche Folgen sind Gesundheitsgefahren, Beeinträchtigungen oder Ausfall der Infrastruktur, Unterbrechung von Lieferketten, Zerstörung von Wohnraum und vieles mehr.
Keine höhere Gewalt liegt vor, wenn auf privater oder geschäftlicher Ebene Ausfälle passieren wie zum Beispiel familiäre Notfälle, defekte Maschinen oder Zahlungsunfähigkeiten.
Entfällt bei höherer Gewalt der Schadenersatzanspruch?
„Da kann man nichts machen, das ist höhere Gewalt“ – ganz so einfach lässt sich ein Ausfall oder Schaden in der Praxis nicht weg reden.
Kann ein Vertragspartner aufgrund eines Ereignisses seinen Teil eines Vertrages nicht erfüllen, muss er trotzdem beweisen, dass ihn kein Verschulden trifft, so etwa in Fällen höherer Gewalt. In Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) sind für diesen Fall meist Regelungen zu Anzeigepflicht, Vertragsrücktritt oder dem Ausschluss von Schadenersatzansprüchen vorhanden.
Oft liegt im Streit, ob ein Schadensereignis wirklich einen Fall höherer Gewalt darstellt oder es für die Beteiligten vermeidbar gewesen wäre. Dann muss ein Gericht entscheiden. Geprüft wird, ob das Ereignis vermeidbar gewesen wäre und welchen Einfluss höhere Gewalt hatte. Daraus folgt auch die Entscheidung über Schadenersatzansprüche.
Gibt es in Verträgen eine Definition oder Klausel zu höherer Gewalt?
Allgemeine Geschäftsbedingungen enthalten oft Klauseln, wonach im Falle höherer Gewalt die betroffene Vertragspartei von der Leistungspflicht befreit sein kann. Ohne eine vertragliche Regelung zu höherer Gewalt bleiben im deutschen Recht die gesetzlichen Bestimmungen des BGB wie zum Beispiel zur Unmöglichkeit der Leistung (§ 275) oder Störung der Geschäftsgrundlage (§ 313).
Empfehlenswert ist es, in Verträgen Fälle höherer Gewalt zu definieren und die Folgen festzulegen. Vereinbarungen über Anzeigepflichten, Ausführungsfristen und Entschädigungsleistungen schaffen Klarheit zwischen den Vertragsparteien, auch wenn keine Gesetzesgrundlage vorhanden ist.
Höhere Gewalt im Straßenverkehr
Im Straßenverkehrsgesetz (StVG) wird nach § 7 der von einer Gefährdungshaftung ausgegangen: Für die Verteilung der Haftung kommt es auf die Verschuldensbeiträge der Beteiligten und die Betriebsgefahr der Fahrzeuge an. Ist kein äußeres Ereignis unfallursächlich, kann nicht von höherer Gewalt ausgegangen werden und es bleibt bei der Haftung der Beteiligten.
Verursacht eine Person im Straßenverkehr einen Schaden und wäre dieses Ereignis nach menschlicher Einsicht sowie Erfahrung unvorhersehbar und selbst bei allergrößter zu erwartender Sorgfalt nicht zu verhindern gewesen, kann es zumindest als ein unabwendbares Ereignis gewertet werden. Über die Frage, wer haftet und in welchem Umfang, haben oft die Gerichte zu befinden.
Höhere Gewalt beim Bau
Ereignisse höherer Gewalt wirken sich mitunter auch auf die Bauindustrie aus. Aktuelle Beispiele sind die Corona-Pandemie und der Krieg in der Ukraine. Für beides wurde in behördlichen Erlassen der Tatbestand der höheren Gewalt in Bezug auf öffentliche Bauaufträge festgestellt.
Lieferengpässe und extreme Preissteigerungen bei Baustoffen sowie Personalausfälle beeinträchtigen aktuell die Bauausführungen. Nicht rechtzeitig abgeschlossene Gewerke können weitere Verzögerungen am Bau nach sich ziehen. In Allgemeinen Vertragsbedingungen für die Ausführung von Bauleistungen (VOB/B) werden für solche Fälle Vereinbarungen zur Leistungserfüllung und Schadenersatzpflichten getroffen.
Doch auch bei recht eindeutigen Ereignissen höherer Gewalt wie einer Pandemie oder einem Krieg können sich Bauunternehmer nicht ohne weiteres darauf berufen. Sie müssen darlegen, dass die höhere Gewalt die Baumaßnahme behindert hat und die Verzögerung unverzüglich anzeigen. Inwieweit Schadenersatzansprüche entfallen, wird auch hier zumeist vor Gericht geklärt werden.
Besteht Versicherungsschutz bei höherer Gewalt?
In Versicherungsverträgen ist der Umfang des Versicherungsschutzes genau geregelt. Vertragsgrundlage sind die Versicherungsbedingungen.
Eins vorweg: Nicht jedes Risiko ist versicherbar. Ein bezahlbarer Versicherungsschutz ist für Risiken möglich, deren Eintritt alle aus der Versichertengemeinschaft gleichermaßen bedroht und zugleich ungewiss ist. Risiken, die zeitgleich eine große Anzahl oder alle der Versicherungsnehmerinnen und Versicherungsnehmer treffen würden, wären kaum kalkulierbar.
Die Versicherungsbedingungen enthalten konkrete Hinweise zum Versicherungsumfang und Ausschlüssen vom Versicherungsschutz. Beispiel Wohngebäudeversicherung: Ein Sturm ist ein versichertes Ereignis. Schäden durch Krieg, Innere Unruhen oder Kernenergie sind in der Regel ausgeschlossen. Alle diese Ereignisse könnten als höhere Gewalt angesehen werden.
Ein wichtiger Tipp: Werfen Sie einen Blick in die Versicherungsbedingungen und fragen Sie im Zweifel bei Ihrem Versicherer nach, welche Fälle von höherer Gewalt im Versicherungsschutz enthalten sind. Elementargewalten wie Hochwasser oder Starkregen sind zum Beispiel in der Wohngebäudeversicherung und Hausratversicherung als Zusatzschutz abschließbar.